Tübinger SPD-Bundestagsabgeordneter Martin Rosemann zieht Konsequenzen aus dem Umgang von Boris Palmer mit dem Tötungsdelikt im Tübinger Bota.
Martin Rosemann: „Aufgrund der Äußerungen von Oberbürgermeister Palmer im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt im Alten Botanischen Garten werde ich am diesjährigen Neujahrsempfang der Stadt nicht teilnehmen. Ich ziehe damit die Konsequenzen aus dem beschämenden Umgang unseres Stadtoberhaupts mit der Tötung von Basiru Jallow.
Es ist erschreckend. Boris Palmer nutzt selbst einen getöteten Menschen, um seine Weltsicht zu rechtfertigen und für sein Buch („Wir können nicht allen helfen.“) zu werben. Von der Herkunft des Opfers schließt er darauf, dass es sich um einen Dealer handele. Das ist rassistisch. Mit seinen Äußerungen macht er das Opfer zum Täter. Er verunglimpft das Opfer und begeht damit mutmaßlich eine Straftat nach § 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener). Seine Aussagen haben die Botschaft: Das Opfer hätte gar nicht dort sein dürfen. Wäre er abgeschoben worden, wäre er nicht getötet worden. Das ist menschenverachtend.
Zu seiner Verteidigung greift er auf beim Ausländeramt vorliegende Informationen zurück, die ihm zu diesem Zweck vermutlich nicht hätten übermittelt werden dürfen und die in der Öffentlichkeit nichts verloren haben. Damit begeht er mutmaßlich einen Datenschutzverstoß. Zudem täuscht er unwahre Sachverhalte über das Opfer vor, indem er Verurteilungen und bloße Ermittlungen in einen Topf wirft. Damit suggeriert er unkorrekterweise, Basiru Jallow sei ein Vergewaltiger.
All dies ist unverantwortlich und dem Amt eines Oberbürgermeisters völlig unangemessen.
Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht jedes Wort auf die Goldwaage lege. Auch ich habe schon andere Menschen mit Worten verletzt. Niemand ist frei von Vorurteilen. Gerade im politischen Geschäft können Schnellschüsse passieren. Und wir alle wollen keine Sprechautomaten, sondern Menschen in der Politik. Aber die Methoden, die Palmer immer wieder anwendet, und die Konsequenz, mit der er das tut, machen nur noch sprachlos. Palmers Äußerungen sind in einer Art, wie man es im sonstigen vor allem beruflichen Umfeld nicht akzeptieren würde – erst recht nicht in einer Vorbildfunktion: nicht bei einer Lehrerin, nicht bei einem Erzieher in der Kita.
Seit geraumer Zeit bin ich daher der Auffassung, dass Boris Palmer für die mit dem Amt des Oberbürgermeisters verbundene Verantwortung ungeeignet ist. Seine rassistischen Ausfälle, die wiederholt dem immer wieder gleichen Muster folgen, sind in der Tübinger Öffentlichkeit ausführlich diskutiert worden.
Dass viele bekannte Tübinger ihn trotzdem weiter unterstützt haben und auch die Mehrheit der Wählerschaft an ihm festhielt, hat mich irritiert und enttäuscht. Nichts destotrotz habe ich als Demokrat diese Entscheidung der Wählerschaft akzeptiert. Ich habe ihm gratuliert und war auch zur erneuten Zusammenarbeit bereit.
Nun müssen wir alle feststellen, dass er diese Chance, die ihm die Tübinger Wählerschaft eröffnet hat, und die Hände, die ihm nach der Wahl gereicht wurden, mit Füßen tritt. Sein aktuelles Verhalten ist eine Grenzüberschreitung, die wir als Stadtgesellschaft nicht mehr akzeptieren sollten. Wir dürfen nicht wieder einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich werde es jedenfalls nicht mehr tun. Auch seine Unterstützer fordere ich auf, innezuhalten und nachzudenken.
Im Tübinger Gemeinderat hat sich eine übergroße Mehrheit deutlich geäußert. Das reicht nicht. Wir alle sind in der Verantwortung Zeichen zu setzen und wirkliche Konsequenzen zu ziehen. Reine Erklärungen und verbale Distanzierungen sind als Antwort unzureichend. Sie sind nur Teil des immer gleichen Spiels aus ehrverletzenden Provokationen, öffentlicher Aufregung und halbgaren Entschuldigungen. Am Ende bleibt alles so wie es ist. Das (politische) Leben geht weiter. Und man lässt diesen Mann weiter gewähren als sei das alles nicht so schlimm.
Ich werde dieses Spiel nicht mehr mitspielen. Das verlangt die Achtung vor den Werten des Anstands und der Mitmenschlichkeit. Das verlangt die Überzeugung des Grundgesetzes, dass jeder Mensch eine Würde hat, die unantastbar ist.
Wirkliche Konsequenzen sind erforderlich. Ein Rücktritt wäre zwingend. Er wird nicht zurücktreten. Deshalb ziehe ich für mich selbst Konsequenzen. Ich stelle die Zusammenarbeit mit Boris Palmer in jeglicher Form ein. Für eine Kommunikation mit ihm stehe ich nicht mehr zur Verfügung. Veranstaltungen, bei denen er im Mittelpunkt steht, werde ich beginnend mit dem diesjährigen Jahres-Empfang der Stadt, nicht mehr besuchen.
Es tut mir Leid für alle, die an diesem Abend ausgezeichnet werden. Gerne hätte ich ihnen meinen Respekt bekundet.
Ich wünsche mir, dass viele es mir gleichtun.
Es reicht!“
Tübingen, den 19. April 2023
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