Martin Rosemann: „Arbeit lohnt sich immer: Wer arbeitet, stellt sich besser. Das gilt für Empfänger:innen von Bürgergeld genauso wie für Geflüchtete aus der Ukraine!“
Der Tübinger SPD-Bundestagsabgeordnete und Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales Martin Rosemann äußert sich zur aktuellen Debatte darüber, ob Arbeit sich für ukrainische Geflüchtete und Bürgergeldempfänger:innen lohnt.
Dazu der Abgeordnete: „Immer wieder wird behauptet, dass sich Arbeit für ukrainische Geflüchtete und Bürgergeldempfänger:innen – gerade in Hinblick auf die geplanten Bürgergelderhöhungen im kommenden Jahr – nicht lohne. Das ist falsch, Arbeit lohnt sich – immer! Im Zuge der aktuellen Debatte möchte ich daher einige Fehlannahmen richtigstellen:
Beim Thema der ukrainischen Geflüchteten ist grundsätzlich festzuhalten, dass es keine Belege dafür gibt, dass sich Arbeit für sie nicht lohnt. Die Zahl der in den Arbeitsmarkt integrierten Ukrainer:innen ist insgesamt gar nicht schlecht. Bundesweit sind nach einem Jahr Aufenthalt in Deutschland 28 Prozent aller hierher geflüchteten Ukrainer:innen beschäftigt. In Tübingen liegen wir lediglich bei ca. 10 Prozent. Dass Tübingen hier vergleichsweise schlecht dasteht, kann nicht auf bundesweit einheitliche Regelungen zurückgeführt werden.
Die noch bestehende Erwerbslücke bei dieser Geflüchtetengruppe lässt sich vor allem auf andere Faktoren zurückführen: beispielsweise mangelnde Kinderbetreuung oder fehlende Sprachkenntnisse. Hinzu kommt, dass die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen in reglementierten Berufen wie Erzieher:innen durch das Land Baden-Württemberg weiterhin nur sehr langsam vorankommt. Hier müssen wir besser werden!
Dennoch beziehen aktuell nur 45 Prozent der nach Baden-Württemberg geflohenen Ukrainer:innen Bürgergeld und diese Zahl schließt unter anderem auch Kinder mit ein.
Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass auf der Suche nach Gründen für das oben beschriebene, derzeitige Erwerbsverhalten immer die aktuellen Bürgergeldsätze zu berücksichtigen sind, und nicht etwa Sätze von 2024, die im Moment noch gar nicht gelten.
Doch auch in Hinblick auf die anstehende Erhöhung des Bürgergeldes im kommenden Jahr bleibt es dabei, dass man mit Arbeit immer mehr bekommt. Das zeigt auch die neueste Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), die diese höheren Bürgergeldsätze ab 2024 zugrunde legt: Wer dann als kinderloser Single Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, hat im Monat im Durchschnitt 532 Euro mehr Einkommen. Alleinerziehende mit einem Kind können laut WSI 2024 sogar 764 Euro mehr erwarten. Bei einer vierköpfigen Familie mit zwei Kindern unter sechs Jahren reicht es schon, wenn einer der beiden Eltern Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, um 634 Euro mehr im Monat zu haben. Und selbst wenn man die maximal hohen aktuellen Mieten bei Neuvermietungen in Tübingen zugrunde legt, ist der Mehrwert zwar reduziert, aber immer noch deutlich positiv. So liegt die Differenz, bezogen auf den kinderlosen Single der in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, beispielsweise immer noch bei 370 Euro – orientiert am aktuellen Tübinger Mietspiegel von etwa 690 Euro Kaltmiete für eine durchschnittliche 39qm Wohnung, die der durchschnittlichen Wohnungsgröße für einen Tübinger Singlehaushalt im Bürgergeldbezug entspricht.
Rechnungen, die den Unterschied zwischen Erwerbslosigkeit und Erwerbstätigkeit kleinreden, lassen wichtige Faktoren aus. So wird oft ignoriert, dass Erwerbstätige einen Anspruch auf Wohngeld und für ihre Kinder einen Anspruch auf Kindergeld (seit 2023 pro Kind 250 Euro) sowie auf Kinderzuschlag (seit 2023 pro Kind 250 Euro) haben. Das ist keine Sozialhilfe, sondern es sind Leistungen, die jedem Beschäftigten bzw. jeder Familie in Deutschland bei entsprechendem Einkommen zustehen.
Auch wird unter den Tisch gekehrt, dass viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, nicht arbeitslos sind, sondern einen Job haben. Auch im Bürgergeld-Bezug gibt es nämlich Erwerbsanreize, die sich durch die seit Juli 2023 geltenden Freibeträge noch erhöht haben.
Zuletzt muss außerdem gesagt werden, dass es im Bürgergeld nach wie vor Leistungskürzungen wegen fehlender Mitwirkung gibt, also Sanktionen – das Prinzip Fördern und Fordern bleibt gewahrt.“
Der Abgeordnete fasst zusammen: „Arbeit macht immer einen Unterschied! Arbeit lohnt sich! Wer mehr arbeitet, hat mehr. Daran ändert auch die Erhöhung des Bürgergeldes im kommenden Jahr nichts. Diese war im Übrigen notwendig, um trotz der enormen Inflation das Existenzminimum sicherzustellen und um sicherzustellen, dass die Ärmsten in der Gesellschaft mit den massiven Preissteigerungen zurechtkommen können.
Einer schnelleren Arbeitsmarktintegration der Ukrainer:innen stehen verschiedene andere Hemmnisse entgegen, an denen gearbeitet werden muss und auch bereits gearbeitet wird. Es ist also nicht nur sachlich falsch zu behaupten, Arbeit lohne sich nicht mehr – es ist unredlich und gefährlich, Geringverdienende, Leistungsbeziehende und Geflüchtete gegeneinander auszuspielen. Eine solidarische Gesellschaft darf niemanden hängen lassen, der in Not geraten ist, und muss gleichzeitig diejenigen im Blick behalten, die ihren Beitrag für die Gemeinschaft leisten. Genau das tun wir.
Für einen noch größeren Lohnabstand sollten wir für bessere Löhne und mehr Tarifbindung kämpfen! Arbeit ist, übrigens auch mehr als Broterwerb: sie bringt Austausch, Anerkennung und Sinn. Außerdem lohnt sich Arbeit auch für später, denn während des Bürgergeldbezugs werden keine Rentenpunkte gesammelt – ein Punkt, der in der Debatte viel zu kurz kommt!“
Berlin/Tübingen, den 13. Oktober 2023
Neueste Kommentare